1. Juli 2025

“Studienbezogene Auslandsaufenthalte fördern genau jene Kompetenzen, die von Unternehmen verstärkt nachgefragt werden”

Prof. Dr. Axel Plünnecke leitet beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln das Cluster Bildung, Innovation, Migration und befasst sich in seiner Forschung u.a. mit den Themen MINT-Zuwanderung und Zuwanderung über die Hochschulen. Dr. Christina Anger ist im IW als Senior Economist im Themencluster Bildung, Innovation und Migration tätig. Gemeinsam haben sie im Auftrag der Nationalen Erasmus-Agentur im DAAD eine Unternehmensbefragung zur Bedeutung studienbezogener Auslandsaufenthalte im Transformationsprozess der deutschen Wirtschaft durchgeführt, deren Befunde vor Kurzem veröffentlicht wurden. Im Interview erläutern sie, welche Bedeutung studienbezogene Auslandserfahrungen heutzutage bei der Einstellung von neuen Mitarbeitenden und deren Karriereentwicklung haben, was Unternehmen in diesem Zusammenhang von den Hochschulen erwarten und welche praktischen Handlungsempfehlungen sich aus den Befunden ihrer Studie für Hochschulen, Hochschulpolitik und Unternehmen ergeben.

Prof. Dr. Axel Plünnecke leitet beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln das Cluster Bildung, Innovation, Migration. Dr. Christina Anger ist im IW als Senior Economist im Themencluster Bildung, Innovation und Migration tätig. (Bildquelle: IW Köln)

Wie wichtig sind studienbezogene Auslandserfahrungen heutzutage bei der Einstellung von neuen Mitarbeitenden und deren Karriereentwicklung? Und von welchen Merkmalen der Unternehmen ist dies abhängig?

Anger: Studienbezogene Auslandserfahrungen sind für viele Unternehmen heutzutage weniger ein formales Auswahlkriterium als vielmehr ein indirekter Prädiktor für zentrale Kompetenzen, die im Transformationsprozess unserer Wirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dazu zählen insbesondere Selbstständigkeit, Problemlösefähigkeit, Offenheit und interkulturelle Kompetenz – alles Fähigkeiten, die nachweislich durch einen Auslandsaufenthalt gestärkt werden.

Die Bedeutung eines Auslandsaufenthalts hängt jedoch stark vom Unternehmensprofil ab. Besonders internationale, innovative, akademische und digitale Unternehmen messen Auslandserfahrungen eine deutlich höhere Relevanz bei – sowohl im Einstellungsprozess als auch im Hinblick auf langfristige Karriereentwicklung. Diese Unternehmen sind stärker in internationale Netzwerke eingebunden, arbeiten häufiger in multikulturellen Teams und sind durch Transformationstreiber wie Globalisierung, Digitalisierung und Klimaschutz besonders gefordert.“

Welche Rolle spielen dabei studienbezogene Auslandsaufenthalte von Bewerberinnen und Bewerbern im Hinblick auf die Erwartungen der Unternehmen an die Hochschulen?

Plünnecke: Unternehmen erwarten von Hochschulen zunehmend, dass sie sich als aktive Partner im Transformationsprozess der Wirtschaft verstehen – insbesondere durch Innovationsimpulse durch Unterstützung bei Fachkräftesicherung und Internationalisierung. In diesem Kontext spielen studienbezogene Auslandsaufenthalte eine wichtige Rolle, da sie genau jene Kompetenzen fördern, die von Unternehmen verstärkt nachgefragt werden: etwa die Fähigkeit zum Umgang mit Unsicherheit, interkulturelle Sensibilität und die Anpassungsfähigkeit in dynamischen Umfeldern.

Darüber hinaus sind für viele Unternehmen Weltoffenheit und eine proeuropäische Haltung zentrale Standortfaktoren. Auslandsaufenthalte wie durch Erasmus+ stärken genau diese Einstellungen. Auslandsaufenthalte gelten also nicht nur als individuelle Qualifikation, sondern auch als struktureller Beitrag zu einem weltoffenen und innovativen Standort Deutschland.

Welche praktischen Handlungsempfehlungen ergeben sich hieraus Ihrer Einschätzung nach für Hochschulen, Hochschulpolitik und die Unternehmen selbst?

Anger: Für Hochschulen bedeutet dies, dass sie Auslandserfahrungen stärker als integralen Bestandteil des Studiums fördern sollten – etwa durch flexible Curricula und niederschwellige Beratungsangebote. Programme wie Erasmus+ spielen hier eine zentrale Rolle und sollten strategisch ausgebaut werden.

Die Hochschulpolitik ist gefordert, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Mobilität nicht vom sozialen oder finanziellen Hintergrund abhängt. Dazu gehören auch langfristige Förderzusagen und der Abbau bürokratischer Hürden.

Unternehmen schließlich sollten die Relevanz von Auslandserfahrungen konsequenter in ihren Rekrutierungs- und Weiterbildungsstrategien berücksichtigen. Das gilt insbesondere, wenn sie international tätig sind oder aktiv Diversität und Innovation fördern wollen.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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