11. November 2022

“Ohne soziale Integration gelingt auch die akademische Integration nicht”

Dr. Roman Halfmann ist Teamleiter am Internationalen Studien- und Sprachenkolleg der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. (Bildquelle: privat)

Im Juni dieses Jahres hat der DAAD den Sammelband “Internationale Studierende in Deutschland: Perspektiven aus Hochschulforschung und Hochschulpraxis” veröffentlicht. Autorinnen und Autoren aus Hochschulforschung und Hochschulpraxis präsentieren darin Forschungsbefunde und praktische Ansätze zur Steigerung der Integration und des Studienerfolgs internationaler Studierender im Studienverlauf, die Einsatzmöglichkeiten digitaler Unterstützungsinstrumente, die Bedeutung und Förderung von Deutschkenntnissen und Deutschlernen sowie die spezifische Unterstützung von Studierenden mit Fluchthintergrund. In den kommenden Wochen und Monaten werden wir hier im Blog Interviews mit den Autorinnen und Autoren des Sammelbands veröffentlichen, um die wichtigsten Erkenntnisse ihrer Beiträge kurz vorzustellen und im besten Fall Lust auf das Lesen des gesamten Beitrags zu machen. Den Anfang macht in dieser Woche Dr. Roman Halfmann vom Internationalen Studien- und Sprachenkolleg der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Herr Halfmann, der Titel Ihres Beitrags lautet: “Das 360°-Projekt – Maßnahmen zur Unterstützung von internationalen Studierenden am Internationalen Studien- und Sprachenkolleg der Johannes Gutenberg-Universität Mainz”. Was waren genau Anlass und Ziel des hierin vorgestellten Projektes?

In der Arbeit der Studienkollegs steht neben der Vorbereitung auf die Feststellungsprüfung die akademische Integration im Vordergrund. Das bedeutet, internationale Studierende ohne direkte Hochschulzulassung in Deutschland werden im Studienkolleg mit der spezifischen Art der Wissensvermittlung, des wissenschaftlichen Arbeitens und der Wissenschaftssprache an deutschen Hochschulen vertraut gemacht. Zu der akademischen gehört aber auch die soziale Integration – diese Erkenntnis wirkt umso schwerwiegender, je deutlicher wird, wie viele internationale Studierende in Deutschland das Studium abbrechen: Obgleich die Gründe hierfür sicherlich zahlreich sind, können sie doch weitgehend unter mangelnder Integration, damit verbundenen sprachlichen Problemen und sozialer Isolation subsumiert werden. Ziel des Projekts war es daher zum einen, die bereits etablierten Angebote sozialer Integration zu verstärken sowie zu vernetzen, weitere spezifische Angebote aufzubauen und vor allem in Hinsicht auf den Peer-to-Peer-Gedanken zu gestalten und zu fördern. Grundsätzlich sollten Betreuungsangebote entwickelt werden, die nachhaltig wirken und institutionell verstetigt werden.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihres Projektes aus Sicht der Hochschulforschung?

Drei Ergebnisse lassen sich ableiten. Zuerst einmal die nicht unerhebliche Bestätigung der These, dass ohne soziale Integration die akademische Integration nicht gelingt: Die Leistungen der internationalen Studierenden haben sich infolge unserer Arbeit signifikant verbessert und die Fortschritte lassen sich vor allem in den Fertigkeiten wissenschaftlichen Arbeitens verorten – den Soft Skills sozusagen. Deren Vermittlung liegt nicht nur in der Verantwortung der didaktischen Methodik, da auch die Meta-Ebene eine wichtige Rolle spielt, also die Art der Vermittlung. Das Was wird durch das Wie und das Warum ergänzt. Zum anderen ist klar geworden, dass es nicht das eine Angebot gibt, welches umfassend Wirkung zeigt. Stattdessen sind Projektverbunde zielführend, die jeweils punktuell wirken, jedoch eng verzahnt gegenseitig Synergien ermöglichen. Drittens ist es sinnvoll, die Studierenden selbst nicht nur zu Wort, sondern auch zu Taten kommen zu lassen. Die Betreuung der internationalen Studierenden durch einheimische Studierende, also Mentorinnen und Mentoren, führt aufgrund der wichtigen Ebene der Authentizität oftmals zu rascheren und zugleich nachhaltiger wirkenden Ergebnissen. Durch Rückkopplungseffekte stärkt ein solches Vorgehen bzw. eine solche Anlage des Angebots auch das Selbstvertrauen der internationalen Studierenden, die zunehmend damit beginnen, das Betreuungsangebot selbst mitzugestalten.

Was viele Leserinnen und Leser unseres Blogs interessieren wird: Welche konkreten Schlussfolgerungen ergeben sich aus Ihrer Sicht aus dem Projekt für die Hochschulpraxis?

Zuerst einmal benötigen Projekte dieser Art einen langen Atem – bedeutet: solide Finanzierung – und ein engagiertes Projektmanagement, welches zusätzlich den Freiraum erhalten sollte, Dinge ausprobieren zu können. Zudem ist es enorm wichtig, die Institutionen, Fachbereiche und Einrichtungen zu vernetzen, die internationale Studierende auf ihrem Weg vom Heimatland bis hin zum universitären Abschluss begleiten. Auch hier wirkt jede Institution punktuell, agiert aber zugleich in enger Verzahnung mit den anderen Partnern – auf diese Weise wird im Idealfall ein Umfeld geschaffen, in welchem sich die internationalen Studierenden umfassend betreut fühlen. All diese Schlussfolgerungen wirken auf den ersten Blick beinah banal, sind aber essentiell und basal für weitergehende Angebote, Forschungsvorhaben und so weiter.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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