19. Dezember 2022

“Nicht nur die international mobilen Forschenden profitieren von ihren Auslandsaufenthalten”

Valeria Aman ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung und promoviert zum Wissenstransfer durch international mobile Forschende nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland. Für die neue Ausgabe von “DAAD Forschung kompakt” hat sie ihre bisherigen Befunde knapp und verständlich zusammengefasst. Dabei zeigt sich: Internationale Mobilität steigert den Wissenserwerb von Forschenden, da sie im Ausland meist an einem neuen Forschungsthema mit neuen Kolleginnen und Kollegen intensiv zusammenarbeiten. Und: Nicht nur die international mobilen Forschenden profitieren von Auslandsaufenthalten, sondern auch die Forschungsgruppen im Heimatland, an die das im Ausland erworbene Wissen weitergegeben wird.

Valeria Aman ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. (Bildquelle: privat)

Sie haben sich in mehreren Untersuchungen mit dem Wissenstransfer im Rahmen der internationalen Mobilität von Forschenden beschäftigt. Die Methodik, die Sie hierbei verwendet haben, ist relativ komplex. Könnten Sie trotzdem einmal versuchen, uns – möglichst einfach verständlich – zu erklären, wie Sie genau vorgegangen sind, um den Wissenstransfer messbar zu machen?

Wissenstransfer lässt sich in der Praxis nicht direkt beobachten, sodass man oft auf die in Befragungen und Interviews erhobenen Auskünfte von Forschenden über deren wahrgenommenen Wissenstransfer angewiesen ist. Die Grundannahme meiner Studien lautet, dass Wissenstransfer Spuren in Publikationen hinterlässt, wann immer Forschende zusammenarbeiten und ihre Ergebnisse veröffentlichen. Es handelt sich also um sogenannte bibliometrische Studien, die Publikations- und Zitationsdaten als Grundlage für ihre Analysen nutzen. Die bibliometrische Forschung nutzt aber darüber hinaus auch Angaben über institutionelle Zugehörigkeiten, Co-Autorschaften und Abstracts, die ebenfalls in Publikations- und Zitationsdatenbanken wie Web of Science oder Scopus enthalten sind.

Um auf dieser Basis einen möglichen Wissenstransfer durch international mobile Forschende zu identifizieren, müssen zunächst einige Rahmenbedingungen für die Analyse festgelegt werden: das Wissen, dessen Transfer erfasst werden soll, die am Wissenstransfer beteiligten Akteure, einschließlich deren internationaler Mobilität, und nicht zuletzt der zeitliche Ablauf beim Wissensfluss von der Quelle zu den Personen, die das Wissen neu erwerben. Das Besondere an meinen Studien ist, dass der Wissenstransfer hierbei als ein zweistufiger Prozess verstanden wird, bei dem international mobile Forschende aus Deutschland zunächst Wissen im Ausland erwerben und dieses Wissen zu einem späteren Zeitpunkt an Kolleginnen und Kollegen in Deutschland transferieren.

In meinen Pilotstudien habe ich den Transfer von publiziertem Wissen, informell kommuniziertem Wissen und implizitem, d.h. auf Erfahrung beruhendem Wissen, auf verschiedene Weise erfasst. Beispielsweise eignen sich seltene Begriffskombinationen für den Nachweis des Transfers von methodischem Wissen, das häufig eine Form impliziten Wissens darstellt. Begriffskombinationen, die erstmalig in Abstracts der Wissensquelle verwendet und von international mobilen Forschenden nach der Zusammenarbeit mit der Wissensquelle in eigenen Publikationen aufgegriffen werden, können ein Indiz für den Wissensfluss von der Quelle zu den wissenserwerbenden Personen sein.

Und was sind die zentralen Befunde Ihrer Untersuchungen zum Wissenstransfer bei international mobilen Forschenden?

Die Pilotstudien haben gezeigt, dass bibliometrische Daten grundsätzlich geeignet sind, um potenziellen Wissenstransfer nachzuweisen. So hat sich das automatische Auffinden von bestimmten seltenen Begriffskombinationen in Abstracts als geeignet erwiesen, um Wissensflüsse von der Quelle des Wissens im Ausland zu international mobilen Forschenden aufzudecken. Der Abgleich der Begriffskombinationen mit den im Rahmen von Befragungen erhobenen Angaben der Forschenden über ihren subjektiv wahrgenommenen Wissenserwerb im Ausland zeigt, dass die entwickelte Methode präzise, aber aufwändig ist. Teilweise kann sie auch zu falsch-negativen Ergebnissen führen, das heißt tatsächlich stattgefundener Wissenstransfer bleibt in manchen Fällen unentdeckt.

Eine weitere Einschränkung ist, dass die entwickelten Methoden lediglich für den Nachweis von wissenschaftlichem Wissen geeignet sind. Mehr als die Hälfte der 56 Befragten betonte jedoch, dass Soft und Social Skills durch den Auslandsaufenthalt verbessert worden seien. Am häufigsten wurde in dem Kontext erläutert, dass neue und nachhaltige Kooperationen zustande gekommen sind, dass Netzwerke erweitert werden konnten und eine neue Forschungsdiskussion kennengelernt wurde. Wichtige Fähigkeiten, die sie erwarben, betreffen die Erarbeitung von Publikationsstrategien, das Verfassen von Forschungsanträgen, die Leitung wissenschaftlicher Teams und die selbstständige Durchführung von Forschungsarbeiten.

Welche praktischen Schlussfolgerungen ergeben sich aus Ihrer Sicht auf Basis dieser Befunde? Gäbe es zum Beispiel praktische Maßnahmen, mit denen man den Wissenstransfer, der durch internationale akademische Mobilität ermöglicht wird, gezielt erhöhen könnte?

Forschende erwerben während ihrer Arbeit permanent neues Wissen. Internationale Mobilität jedoch steigert diesen Wissenserwerb noch, da die Personen meist an einem neuen Forschungsthema mit neuen Kolleginnen und Kollegen vor Ort intensiv zusammenarbeiten und durch die Interaktion und Beobachtung ihr Wissen erweitern. Die Befragten in meiner Studie haben ihre Mobilitätserfahrung als einen wichtigen Baustein für ihre erfolgreiche Karriere eingeschätzt und sich dankbar für die dadurch erfahrene Unterstützung ihrer Forschung und deren Finanzierung gezeigt. Es ist sicher angeraten, die akademische Auslandsmobilität zu fördern, denn viele der Befragten betonten, dass ihr Aufenthalt erst z. B. durch ein DAAD-Postdoc-Stipendium oder ein Forschungsstipendien der DFG ermöglicht wurde.

Aber nicht nur die international mobilen Forschenden profitieren von ihren Auslandsaufenthalten, sondern auch die Forschungsgruppen in Deutschland, an die das im Ausland erworbene Wissen weitergegeben wird. Dieses im Ausland erworbene Wissen kann wiederum nur dann erfolgreich weitergegeben werden, wenn sich dazu Gelegenheiten bieten. Sie sollten deshalb ebenfalls gefördert werden. So antworteten einige Befragte, dass sie die im Ausland erworbenen Kenntnisse in Deutschland als Leiterinnen oder Leiter von Nachwuchsgruppen ausbauten und weitergaben oder sogar dauerhafte Arbeitsgruppen zu den Themen etablieren konnten, an denen sie im Ausland geforscht hatten.

Allerdings gelingt es aufgrund fehlender öffentlicher Akzeptanz und entsprechenden Forschungsmitteln nicht immer, im Ausland erworbenes Wissen in Deutschland weiterzugeben und weiterzuentwickeln. Der Wissenstransfer hängt in hohem Maße auch von den Rahmenbedingungen ab, die den international mobilen Forschenden bei ihrer Rückkehr gesetzt werden. In dem Zusammenhang erweist es sich, dass gerade Vernetzungsprogramme für international mobile Forschende, wie z. B. das GAIN-Netzwerk deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Nordamerika, ein wichtiges praktisches Instrument für den Austausch mit Forschenden in Deutschland und anderen europäischen Ländern darstellt.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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