15. Februar 2023

“Karrierebedürfnisse internationaler Studierender nachhaltig berücksichtigen”

Im fünften Teil unserer Interview-Serie zum DAAD-Sammelband “Internationale Studierende in Deutschland: Perspektiven aus Hochschulforschung und Hochschulpraxis” sprechen wir mit Jessica Schueller von der Miami University in Ohio, USA. In Ihrem Sammelbandbeitrag “Setting an Agenda for a Sustainable Network of Career Services for International Students in Germany” setzt sie sich kritisch mit der Situation der Career Services für internationale Studierende an deutschen Hochschulen auseinander. Im Interview mit uns erläutert sie, welche Probleme sie in Deutschland identifiziert hat und was sich die deutschen Hochschulen für deren Lösung im Ausland abschauen können. (Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.)

Jessica Schueller ist Doktorandin an der Miami University in Ohio, USA. (Bildquelle: Studioline Fotostudio Augsburg)

Frau Schueller, Sie analysieren in Ihrem Sammelband-Beitrag Career Services für internationale Studierende in Deutschland. Was war Anlass und Ziel dieser Analyse?

Von 2017 bis 2019 habe ich an der Universität Augsburg einen International Career Service – kurz: ICS – aufgebaut und geleitet. Damals war das Konzept des ICS noch relativ neu, aber die Nachfrage und der Bedarf an kulturell kontextualisierten Career Services für internationale Studierende in Deutschland hat sich seither verfestigt. International mobile Studierende sind bei der Wahl ihres Studienortes in hohem Maße durch berufliche Perspektiven motiviert. Es gibt zwar zahlreiche Untersuchungen über die Auswirkungen kurzfristiger Mobilitätserfahrungen auf die berufliche Karriere, aber nur wenige Studien haben die Rolle von Career Services für internationale Studierende mit Abschussabsicht in Deutschland untersucht.

Meine Erfahrung als ICS-Leiterin hat meine Neugier geweckt, wie verbreitet ICS in Deutschland sind. Ich wollte zum Beispiel verstehen, ob es institutionelle oder geografische Unterschiede gibt oder wie andere Praktikerinnen und Praktiker ICS definieren. Es ergab sich dann die Möglichkeit, das Thema im Rahmen meiner Masterarbeit für ein MBA-Programm an der Universität Oldenburg zu bearbeiten, betreut von Prof. Dr. Ulrich Teichler. Im Allgemeinen wissen wir sehr wenig über die Prozesse, die mit der Bereitstellung von Career Services für internationale Studierende verbunden sind, und noch weniger über die Erfahrungen der Hochschulmitarbeitenden. Mein Forschungsprojekt umfasste eine Literaturrecherche, eine Website-Recherche, eine Umfrage und später eine qualitative Studie mit ICS-Mitarbeitenden.

Was sind die wichtigsten Befunde bzw. Ergebnisse Ihrer Untersuchung aus Forschungsperspektive?

Auf der Grundlage einer Literaturrecherche und einer Inhaltsanalyse von Websites habe ich Faktoren untersucht, die internationale Career Services von nationalen Career Services unterscheiden, die fünf definierenden Komponenten internationaler Career Services und die Begriffe, die zur Bezeichnung solcher Services verwendet werden. Mein Sammelband-Beitrag stellt daher den Teil meiner Forschungsarbeit dar, den ich vor der Durchführung der Hauptstudie und der Umfrage durchgeführt habe. Diese Vorarbeit war entscheidend, um zu verstehen, wie die Universitäten definieren, was ein ICS ist, und um festzustellen, wie verbreitet ICS in Deutschland sind. In den letzten zehn Jahren haben immer mehr deutsche Hochschulen International Career Services eingerichtet, um die Integration internationaler Studierender in den Arbeitsmarkt zu fördern. Diese ICS-Projekte unterscheiden sich in ihrem Umfang und in der Terminologie, die zur Kennzeichnung dieser Dienstleistungen verwendet wird. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen, dass es fünf Hauptbereiche gibt, in denen sich erfolgreiche International Career Services von Career Services für inländische Studierende unterscheiden: Arbeitsmarkt, Netzwerk, Bewerbungen, Fähigkeiten und Berufserfahrung sowie Kultur.

Wie in dem Artikel hervorgehoben wird, war eines der unerwarteten Ergebnisse, wie unterschiedlich die Institutionen ihr ICS benennen. Das ist von entscheidender Bedeutung, denn was nicht benannt und definiert werden kann, kann auch nicht nachverfolgt werden. Dies hat wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Erforschung des ICS in Deutschland und darüber hinaus. Wie mein Beitrag zeigt, waren die Namen der ICS-Projekte unglaublich vielfältig – zum Nachteil von Studierenden, Mitarbeitenden und Hochschulen. Viele Mitarbeitende von ICS-Projekten weisen sich selbst nicht als solche aus, was Probleme beim Aufbau eines Netzwerks von Fachleuten verursacht. Die terminologische Trennung und damit das Fehlen eines professionellen Netzwerks für ICS-Fachleute hat weitreichende Auswirkungen auf die Bindung internationaler Studierender an die deutsche Wirtschaft. In anderen Ländern gibt es umfangreiche Netzwerke für ICS-Fachkräfte, wie z.B. die National Career Development Association (NCDA) in den Vereinigten Staaten, die ein International Student Services Committee hat, das sich an Career Service-Mitarbeitende richtet, die mit internationalen Studierenden arbeiten.

Welche konkreten Schlussfolgerungen könnten sich aus Ihren Befunden für die Hochschulpraxis ergeben?

Die ICS befassen sich mit der Frage, wie die Berufswünsche internationaler Studierender mit den Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes in Einklang gebracht werden können, indem internationale Studierende systematisch auf eine Beschäftigung in Deutschland vorbereitet werden. Dabei bringen die ICS internationale Studierende, Hochschuleinrichtungen und Arbeitgeber zusammen. Die Rolle der ICS in der Verknüpfung von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt ist von entscheidender Bedeutung und verdient mehr Aufmerksamkeit seitens der politischen Entscheidungsträger und Programmförderer. Es ist daher unerlässlich, dass die ICS für alle Beteiligten sichtbar sind. Diese Sichtbarkeit muss unmittelbar und an allen Einrichtungen im ganzen Land vorhanden sein, damit internationale Studierende und deutsche Arbeitgeber ihre Ansprechpersonen im ICS schnell finden können. Um ihre Rolle effektiv wahrnehmen zu können, müssen sich die deutschen ICS unter einem Begriff zusammenschließen, und zwar vorzugsweise in einem Netzwerk oder Unternetzwerk innerhalb einer Dachorganisation, wie dies in den USA der Fall ist.

Wenn ein Konsens über die Definitionen und die Terminologie erreicht werden kann, könnte die Vermarktung dieser Dienstleistungen als zusätzlicher Vorteil für internationale Studierende deren Entscheidung für ein Studium in Deutschland beeinflussen. Noch wichtiger ist aber, dass mehr internationale Studierende ICS in Anspruch nehmen und die Kompetenzen entwickeln werden, die erforderlich sind, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, wenn Klarheit darüber besteht, was ICS genau sind und sie auch einheitlich bezeichnet werden.

Wie ich eingangs bereits erwähnte, sind international mobile Studierende durch ihre Karriereaussichten im Zielland hoch motiviert. Diese Dynamik wird in absehbarer Zeit nicht verschwinden, und Deutschland verfügt über ein relativ großzügiges Arbeitsvisum für die Zeit nach dem Studium, das in Verbindung mit einem Ansatz für kulturell kontextualisierte ICS den Hochschul- und Forschungseinrichtungen des Landes, den internationalen Studierenden und den Arbeitgebern dienen könnte. Die Hochschulen in Deutschland wären gut beraten, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie die Karrierebedürfnisse internationaler Studierender nachhaltig berücksichtigen können – falls sie damit nicht bereits begonnen haben. Mein Beitrag gibt daher einen guten Überblick darüber, was bei der Konzeption eines ICS zu beachten ist.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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