25. August 2023

“Viele Forschungsarbeiten über internationale Studierende waren nicht besonders gut”

Dr. Jenna Mittelmeier forscht und lehrt im Bereich International Education am Institute of Education der Universität Manchester. Vor Kurzem hat sie gemeinsam mit anderen Forschenden die Website „Research with International Students“ ins Leben gerufen, dieser folgen Ende des Jahres 2023 ein gleichnamiger Sammelband und eine gleichnamige Konferenz. Im Interview erläutert sie, was der Anlass für diese Projekte war, welche Themen hierbei im Fokus stehen und was aus ihrer Sicht die größten Herausforderungen und Forschungslücken in der Forschung mit und über internationale Studierende sind. (Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.)

Dr. Jenna Mittelmeier forscht und lehrt im Bereich International Education am Institute of Education der Universität Manchester. (Bildquelle: privat)

Sie haben vor kurzem die Website „Research with International Students“ ins Leben gerufen. Was ist die Idee hinter dieser Website und wer sollte sie lesen?

Ich hatte eher zufällig einige Projekte hintereinander, in denen wir systematische Übersichten über bestehende Forschungsarbeiten verfasst haben. Darunter war auch eine Übersicht, in der wir über 900 schriftliche Forschungsartikel über Internationalisierung zusammengefasst haben. Dabei fiel uns auf, dass es viele Forschungsarbeiten über internationale Studierende gab, die, um es ganz offen zu sagen, nicht besonders gut waren. Viele Forschungsarbeiten stützten sich auf Stereotypen über internationale Studierende oder stellten sie durch eine defizitäre Linse dar, indem sie davon ausgingen, dass sie weniger Kompetenzen hätten als einheimische Studierende oder sich in die bestehenden Bildungsstrukturen „einfügen“ müssten. Aus unserer Sicht wäre also ganz generell eine kritischere Forschung zu diesem Thema wünschenswert, die sich mehr damit beschäftigt, Unterschiede statt Defizite zu sehen, internationale Studierende als Partner zu betrachten und zu hinterfragen, wie die entsprechenden Ansätze an Universitäten transformativ und interkulturell integrativ sein können. Also begannen wir, Ressourcen für Forscher zusammen zu stellen, die internationale Studierende als Teilnehmende in ihre Studien einbeziehen, was schließlich zur Website „Research with International Students“ führte. Sie enthält zahlreiche Ressourcen für Forschende, aber auch für Praktikerinnen und Praktiker, darunter Leselisten, eine Datenbank mit theoretischen Grundlagen, ein „Anti-Glossar“ von Begriffen und einen Blog, um nur einige zu nennen. Wir sehen sie als Ausgangspunkt für alle, die mit internationalen Studierenden forschen oder praktisch arbeiten.

Sie sind auch Mitherausgeberin des bald erscheinenden Sammelbands „Research with International Students“, das die Grundlage für die hybride Konferenz „Research with International Students“ im Dezember sein wird. Was werden die Hauptthemen des Buches und der Konferenz sein?

Der Sammelband „Research with International Students“ hat sich organisch aus der Website entwickelt, indem der wir 49 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt zusammengebracht haben, um 26 Kapitel über verschiedene Facetten der Forschung zu schreiben, an der internationale Studierende beteiligt sind. Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert, die sich jeweils auf einen anderen Bereich der Forschungsgestaltung konzentrieren. Es regt die Leserinnen und Leser dazu an, darüber nachzudenken, was die kritische Forschung derzeit behindert und wie Narrative über internationale Studierende komplexer gestaltet werden können, indem man über Themen wie die Überschneidung des Status von internationalen Studierenden mit Ethnie, Geschlecht, Sexualität, Behinderung oder Klasse nachdenkt. Wir ermutigen die Leserinnen und Leser auch dazu, selbstverständliche Themen neu zu konzipieren, z. B. was bedeutet eigentlich „global“? Schließlich konzentrieren wir uns auf Forschungsdesigns und -methoden und überlegen, wie die Forschung durch die Art der Datenerhebung ethischer und kritischer gestaltet werden kann.

Anlässlich der Veröffentlichung des Buches veranstalten wir eine internationale Konferenz, die vom 11. bis 12. Dezember stattfinden wird. Es handelt sich um eine hybride Konferenz, die sowohl online als auch vor Ort in Manchester, UK, stattfinden wird. Mit der Konferenz wollen wir ein Netzwerk von Forschenden schaffen, die sich mit kritischen Überlegungen zu diesem Thema befassen. Insbesondere wollen wir intersektionale Ungleichheiten in der Forschung in den Mittelpunkt stellen und darüber nachdenken, wie die Forschung problematische Narrative über internationale Studierende an Universitäten verändern kann. Wir werden uns auch darauf konzentrieren, wie die Forschung mit internationalen Studierenden für die Zukunft neu konzipiert werden kann. Weitere Informationen über die Konferenz hierzu finden sich auf der Konferenz-Website.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen und Forschungslücken in der Forschung mit und über internationale Studierende?

Eine der größten Herausforderungen bei der Forschung mit internationalen Studierenden besteht darin, dass es so viele Forschungsarbeiten gibt, dass es schwierig ist, diese zusammenzufassen und zu verstehen, wie „gute Praxis“ aussieht. Gleichzeitig konzentriert sich die überwiegende Mehrheit der vorhandenen Forschung auf Fallstudien an einem einzigen Standort, was bedeutet, dass wir sehr wenig darüber wissen, wie innovative Ideen auf andere Kontexte übertragen werden können. Ich bin der Meinung, dass wir viel mehr kontextübergreifende, internationale und vergleichende Forschung sowie Längsschnittstudien benötigen, um ein differenzierteres Verständnis davon zu entwickeln, was bei der Internationalisierung „funktioniert“ und was nicht.

In der Forschung mit internationalen Studierenden wird häufig ein assimilatorischer Ansatz verfolgt, bei dem davon ausgegangen wird, dass sich internationale Studierende verändern müssen, um sich an die bestehenden Bestimmungen und Praktiken anzupassen. Ich halte das für problematisch, weil sich ein Großteil der Forschung auf die vermeintlichen Defizite internationaler Studierender konzentriert, anstatt über ihre Handlungsfähigkeit nachzudenken. In der Forschung werden internationale Studierende oft als weniger qualifiziert, weniger angepasst oder weniger sachkundig als einheimische Studierende dargestellt, was dann zu diesem Kreislauf in der Praxis beiträgt, in dem internationale Studierende problematischerweise als mangelhaft oder als minderwertige Studierende angesehen werden. Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft mehr Forschungsarbeiten damit beginnen, diese Annahmen zu kritisieren und stattdessen darüber nachzudenken, wie unsere Hochschulsysteme internationale Studierende auf ungerechte Weise benachteiligen können. Die Schuld auf ungerechte Systeme und nicht auf marginalisierte Individuen zu schieben, ist ein ethischerer Ansatz für Forschung und Praxis in der Zukunft.

Dieser Artikel gehört zu der Rubrik

Weiterlesen zu den Themen

nach oben