13. November 2023

„Internationale Studierende werden von mehreren Ländern als ideale Zuwanderinnen und Zuwanderer umworben“

Roopa Desai Trilokekar forscht und lehrt als Associate Professorin an der York University in Toronto, Kanada. In dieser Funktion leitet sie das internationale Forschungsprojekt “International students are “ideal” immigrants: A critical discourse analysis of study-migration pathways in Canada, Australia and Germany“, an dem insgesamt zehn Forschende aus Kanada, Australien und Deutschland beteiligt sind. Im Interview erläutert sie, was der Anlass für das Forschungsprojekt war, was aus ihrer Sicht die zentralen Befunde der bisherigen Analysen sind und welche Schlussfolgerungen sich hieraus für Hochschulpolitik und Hochschulpraxis ziehen lassen. (Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.)

Roopa Desai Trilokekar forscht und lehrt als Associate Professorin an der York University in Toronto, Kanada.

Liebe Frau Trilokekar, könnten Sie zunächst kurz erläutern, was Sie zu Ihrer Studie veranlasst hat und warum Sie die drei Länder Kanada, Australien und Deutschland als Vergleichsobjekte dafür ausgewählt haben?

Auslöser für unsere Studie war der dramatische Wandel in der Politik gegenüber internationalen Studierenden. Früher mussten sie den Behörden des Gastlandes nachweisen, dass ihr beabsichtigter Aufenthalt rein akademischer Natur war, und ihnen zusichern, dass sie nach Abschluss ihres Studiums wieder nach Hause zurückkehren konnten. Heute werden internationale Studierende von mehreren Ländern aktiv als „ideale“ Zuwandererinnen und Zuwanderer umworben, wobei die doppelte Absicht, zu studieren und zu bleiben, als akzeptierter Grund gilt. Wir wollten verstehen, was diesen dramatischen politischen Wandel in der Beziehung der Gastländer zu internationalen Studierenden verursacht hat und was diese Politik attraktiv erscheinen lässt, obwohl internationale Studierende angesichts des 11. Septembers, des Brexit und der Anti-Einwanderungspolitik der Trump-Administration häufig auch als „riskante“ Außenseiter angesehen werden. Wir wollten auch wissen, wie diese Politik in den einzelnen Ländern umgesetzt wird, wer sie fördert, ob sie auf Widerstand stößt und ob sie in den einzelnen Ländern unterschiedlich umgesetzt wird.

Wir haben Australien, Kanada und Deutschland als Vergleichsländer ausgewählt, weil jedes dieser Länder solch eine Politik aktiv verfolgt. Sie befinden sich jedoch in unterschiedlichen Stadien dieses Diskurses und Australien versucht derzeit, diesen Politikansatz abzuschwächen. Am wichtigsten ist vielleicht, dass es sich bei allen drei Ländern um föderative Staaten handelt, in denen die Hochschulen – insbesondere die Universitäten – als autonome Institutionen arbeiten. Dies war wichtig, da wir die politische Steuerung und ihre Auswirkungen auf die Hochschulbildung verstehen wollten. Außerdem weisen die drei Länder zwar Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede auf, was sie für eine vergleichende Studie interessant macht.

Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Erkenntnisse Ihrer bisherigen Analysen? Gab es Ergebnisse, die Sie überrascht haben?

Wir befinden uns noch in der abschließenden Phase der Datenerhebung und -analyse durch Interviews in jedem der drei Länder. Unsere bisherigen Auswertungen sprechen jedoch ganz allgemein für drei wichtige Befunde. Der erste Befund bezieht sich auf die Macht des politischen Diskurses: Die Macht der Sprache und der damit verbundenen Bilder, die politische Erklärungen erzeugen, ist so groß, dass Gegendiskurse zum Schweigen gebracht werden, um ein sogenanntes „Wahrheitsregime“ aufzubauen. Dies ist vielleicht eine der überraschendsten Erkenntnisse. Es ist sehr interessant, wie trotz der einzigartigen Kontexte der einzelnen Länder der politische Diskurs auf große Resonanz stößt, wobei die Staaten die Politiken und Praktiken der anderen Länder nachahmen. Ausgehend von Australien hat Kanada die australische Politik nachgeahmt, und nun eifert Deutschland Kanada nach, obwohl insbesondere in Australien und nun auch in Kanada Probleme mit dieser Politik aufgetreten sind. Es ist faszinierend, wie die politischen Entscheidungsträgerinnen und -entscheidungsträger dies häufig fast als „magische“ Lösung für ein Problem anpreisen, das in allen drei Ländern als zentral angesehen wird, nämlich den globalen Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte angesichts der schrumpfenden und alternden einheimischen Bevölkerung.

Zweitens haben wir mehrere Widersprüche im politischen Diskurs festgestellt: Internationale Studierende werden als ideal angesehen – vermutlich im Gegensatz zu nicht-idealen Zuwanderinnen und Zuwanderern –, weil man davon ausgeht, dass sie über lokale Qualifikationen verfügen, die Kultur, die Menschen und die Sprache kennen und daher besser für den Einstieg in die Arbeitswelt gerüstet sind. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass das Bild der „idealen Zuwanderung“ selektiv verwendet wird. Ironischerweise werden internationale Studierende mit einer liberalen Arbeits- und Einwanderungspolitik umworben, während diejenigen internationalen Studierenden, die als Motiv für ihr die Wahl ihres Gastlandes offen angeben, anschließend im Land verbleiben zu wollen, als „verdächtig“ und „risikoreich“ bezeichnet werden. Darüber hinaus spricht man in der Politik von der „Auswahl der Besten und Klügsten“ und unterscheidet zwischen internationalen Studierenden, die spezifische nationale oder regionale Arbeitsmarktlücken und -bedürfnisse erfüllen, möglichst wenig Akzent haben und in Bezug auf Ethnie oder Herkunftsland „akzeptable“ Merkmale aufweisen.

Das dritte wichtige Ergebnis bezieht sich auf die Formulierung und Förderung des Diskurses: Die australischen und kanadischen Hochschulsysteme haben eine finanzielle Abhängigkeit von internationalen Studiengebühren aufgebaut, um ihre Betriebskosten zu decken. Aus diesem Grund finden wir in diesem Diskurs vielleicht eine stärkere Repräsentation und Investition der Hochschulen. Der deutsche Kontext sieht hingegen ganz anders aus. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass sich der Hochschulsektor relativ wenig engagiert, im Gegensatz zu den Bundes- und Landesregierungen, die die aktiveren Verfechter dieser Politik sind.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich Ihrer Meinung nach aus den Ergebnissen für Hochschulpolitik und Hochschulpraxis ziehen?

Wir argumentieren, dass ein vernachlässigter Aspekt dieses Diskurses darin besteht, dass die Hochschulen zunehmend als Einwanderungsakteure positioniert werden, wodurch sich ihre Rolle verschiebt und ihre Autonomie gegenüber dem Staat geschwächt wird. Sie haben dadurch nun drei Rollen: Erstens als Magneten, die Studierende ins Land locken und dort halten. Zweitens als Pförtner, die im Auftrag des Staates die „idealen“ Zuwandererinnen und Zuwanderer sortieren und auswählen. Und drittens als Veredler, die die internationalen Studierenden auf den lokalen Arbeitsmarkt vorbereiten und in diesen integrieren. Diese neuen Rollen und Aufgaben stellen die traditionellen Funktionen der Hochschulen, insbesondere der Universitäten, grundlegend in Frage und bringen sie in eine konfliktreiche oder sogar kompromittierende Position.

Um nur zwei Beispiele zu nennen: Dieser Diskurs bewertet internationale Studierende auf höchst instrumentelle Weise und steht im Widerspruch zu den umfassenderen Zielen der Aufnahme internationaler Studierender als einem Aspekt der Internationalisierung. Durch die Forderung nach eines verstärkten Monitorings und einer umfassenden Berichterstattung über internationale Studierende – wie wir sie zum Beispiel in Kanada beobachten können – wird das Personal in einen direkten Konflikt mit seiner Rolle als Anwalt der Studierenden und dem Schutz ihrer Interessen gebracht.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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