28. November 2023

“Spezifische Bedarfe von wissenschaftlich Tätigen aus dem Ausland sollten stärker berücksichtigt werden”

Wie können internationale Nachwuchsforschende in Deutschland bei Ihrem Weg zur Professur in Zukunft besser unterstützt werden? Dieser Frage ist das vom DAAD mit Mitteln des Bundesministeriums für Forschung und Bildung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt „Internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an deutschen Hochschulen: Von der Postdoc-Phase zur Professur” (InWiDeHo) nachgegangen. Dr. Susanne Jaudzims und Dr. Axel Oberschelp vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) haben das Projekt gemeinsam durchgeführt. Im Interview berichten Sie, was der Anlass für die Untersuchung war, was aus ihrer Sicht die zentralen Befunde hierbei waren und welche Schlussfolgerungen sich hieraus für die Hochschulpraxis ergeben.

Dr. Susanne Jaudzims und Dr. Axel Oberschelp sind als wissenschaftliche Mitarbeitende am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover tätig (Bildquelle Jaudzims: Privat; Bildquelle Oberschelp: Nölle/DZHW).

Liebe Frau Jaudzims, lieber Herr Oberschelp, könnten Sie zunächst einmal kurz den Hintergrund und den Anlass für Ihre Untersuchung erläutern?

Oberschelp: Deutschland ist für internationale Studierende und für wissenschaftlich Tätige aus dem Ausland ein sehr wichtiges Gastland. Auch für Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland ist es von großer Bedeutung, dass Menschen aus dem Ausland zum Studieren, Lehren und Forschen zu uns kommen. Wissenschaft lebt vom Austausch, und insbesondere die Forschung orientiert und organisiert sich zunehmend international. In welchem Maße es gelingt, wissenschaftlich Tätige aus dem Ausland anzuwerben, ist zudem ein wichtiger Indikator für die Attraktivität und Qualität des deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystems. Dabei ist auffällig, dass an den deutschen Hochschulen der Anteil des internationalen Wissenschaftspersonals auf den Karrierestufen unterhalb der Professur deutlich höher ausfällt als bei den Professuren selbst. Dabei war bislang unklar, welches die Gründe hierfür sind. Bereits vorliegende Forschungsergebnisse legen die Vermutung nahe, beim Übergang von der Qualifikationsphase in ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis als Professorin oder Professor könnte es besondere Hürden für den internationalen wissenschaftlichen Nachwuchs geben. Im Rahmen des Projekts InWiDeHo wurden hierzu internationale Postdocs sowie neuberufene internationale Professorinnen und Professoren an Universitäten in Deutschland befragt. Außerdem wurden Interviews mit Mitgliedern von Universitätsleitungen sowie Gruppendiskussionen mit Mitarbeitenden zuständiger Einrichtungen, beispielsweise den International Offices, geführt. Das DZHW hat diese Studie in Kooperation mit dem DAAD durchgeführt und schlägt darin, ausgehend von den empirischen Befunden, konkrete Maßnahmen zur Förderung der Internationalisierung an deutschen Hochschulen vor.

Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Befunde der Untersuchung?

Jaudzims: Die Universitäten haben zahlreiche Maßnahmen entwickelt und implementiert, mit denen wissenschaftlich Tätige aus dem Ausland in ihren Bemühungen um Entwicklung der eigenen wissenschaftlichen Karriere und um Integration in Deutschland unterstützt werden sollen. Viele dieser Maßnahmen sind hilfreich, sie decken aber nicht alle Problemlagen ab und sind nicht immer auf die Bedarfe der Zielgruppe zugeschnitten. Zudem ist in vielen Bereichen des universitären Alltags die internationale Ausrichtung deutscher Universitäten derzeit noch schwach ausgeprägt. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Lehre und in der akademischen Selbstverwaltung, aber auch in Berufungsverfahren und in der Hochschulverwaltung. Darüber hinaus lassen sich im hochschulexternen Umfeld Hürden identifizieren, die einem dauerhaften Aufenthalt wissenschaftlich Tätiger aus dem Ausland in Deutschland entgegenstehen können. So erweist sich etwa das in Deutschland geltende Aufenthaltsrecht mit seiner Kopplung von Aufenthaltserlaubnis und Beschäftigung – insbesondere für Personen aus dem Nicht-EU-Ausland – als bedeutsame Hürde. In den Interviews wurden zudem eine schwach ausgeprägte Mehrsprachigkeit und Dienstleistungsorientierung in den Ausländerbehörden sowie Fremdenfeindlichkeit in Alltagssituationen und bei der Wohnungssuche als relevante Hürden genannt. Schließlich hat sich gezeigt, dass die hohe Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschland, die unter anderem durch das System der Forschungsförderung gegeben ist, durch Aspekte wie die langen Wege zu einer unbefristeten Stelle und unsichere Karrieremöglichkeiten eingeschränkt wird.

Und welche wichtigen Schlussfolgerungen für die Hochschulpraxis ergeben sich Ihrer Einschätzung nach auf Basis dieser Befunde?

Jaudzims: Mangelnde deutsche Sprachkenntnisse sind eine der größten Hürden für wissenschaftlich Tätige aus dem Ausland, die bei Ankunft im deutschen Wissenschaftssystem häufig nur über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Für den notwendigen Spracherwerb spielen die Angebote der Hochschulen eine zentrale Rolle. Sprachkurse sollten daher ausgeweitet und die spezifischen Bedarfe von wissenschaftlich Tätigen aus dem Ausland stärker berücksichtigt werden. Neben der Alltagssprache umfasst dies auch die Wissenschaftssprache, Aspekte der Administration oder der akademischen Selbstverwaltung. Bessere und frühzeitige Informationen über die Strukturen des deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystems können dazu beitragen, entsprechende Karrieremöglichkeiten und -pfade aufzuzeigen und internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angemessen darauf vorzubereiten. Zudem spielt die Förderung von Paaren, bei denen beide eine wissenschaftliche Karriere anstreben, und auch Familienfreundlichkeit eine Rolle. Die Bereitstellung von Informationen und Beratungsangeboten in diesen Bereichen speziell für wissenschaftlich Tätige aus dem Ausland sollte daher ausgeweitet werden. Mehrsprachigkeit als kommunikative Praxis sollte schließlich in allen relevanten Bereichen, neben der Forschung besonders auch in der Lehre, der akademischen Selbstverwaltung, in den Berufungsverfahren und in der Hochschulverwaltung stärker etabliert werden. Um besondere Härten abzufedern, die aus der im deutschen Wissenschaftssystem üblichen Befristungspraxis resultieren, sind zudem geeignete Übergangsregelungen vonnöten, um wissenschaftlich Tätige aus dem Ausland zum Verbleib im deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem zu motivieren.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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