21. Dezember 2023

“Unsere Methodik ist ganz ähnlich wie bei Wahlprognosen”

Dr. Jan Kercher ist beim DAAD-Experte für externe Studien und Statistiken. (Bildquelle: Eric Lichtenscheid)

Der DAAD hat auch in diesem Wintersemester wieder eine Schnellabfrage zur Zahl der internationalen Studierenden in Deutschland durchgeführt, an der sich 170 Hochschulen aus ganz Deutschland beteiligten. Auf Basis dieser Rückmeldungen prognostiziert der DAAD einen neuen Höchststand der Studierendenzahlen, sowohl in Bezug auf die neu eingeschriebenen als auch in Bezug auf die Gesamtzahl aller internationalen Studierenden. Im Interview erläutert DAAD-Experte Dr. Jan Kercher, warum der DAAD die jährliche Schnellabfrage seit 2020 durchführt, wie die Prognose der Studierendenzahlen erstellt wird und welche Befunde bei der diesjährigen Abfrage aus seiner Sicht besonders hervorzuheben sind.

Herr Kercher, könnten Sie zu Beginn noch einmal kurz erläutern, warum der DAAD seit einigen Jahren eine Schnellabfrage zu den Einschreibungen internationaler Studierender im Wintersemester durchführt?

Der ursprüngliche Anlass für unsere erste Schnellabfrage im Wintersemester 2020/21 war die Corona-Pandemie. Denn natürlich haben wir, die Hochschulen und die Hochschulpolitik uns damals gefragt, wie stark sich die Pandemie auf die Zahl der internationalen Studierenden in Deutschland auswirken wird. Das Problem dabei: Die amtlichen Studierendenzahlen vom Statistischen Bundesamt werden immer erst im August des Folgejahres veröffentlicht, also fast ein Dreivierteljahr nach Beginn des jeweiligen Wintersemesters. Wir wollten damals aber früher einschätzen können, wie groß der Effekt der Pandemie auf die Zahl der internationalen Studierenden ausgefallen war. Deshalb haben wir beschlossen, hierzu eine Abfrage bei den staatlich anerkannten Hochschulen in Deutschland durchzuführen, also bei denjenigen Hochschulen, deren Studierendenzahlen auch in die amtliche Studierendenstatistik des Statistischen Bundesamtes eingehen. Erfreulicherweise haben sich an dieser ersten Schnellabfrage dann über 160 Hochschulen beteiligt, so dass wir eine relativ gute Datenbasis hatten, um eine Prognose für die Zahl der internationalen Studierenden im damaligen Wintersemester zu erstellen. Und als das Statistische Bundesamt im August 2021 schließlich die amtlichen Studierendendaten veröffentlicht hat, zeigte sich, dass unsere Prognose auch ziemlich treffend war.

Vor diesem Hintergrund haben wir dann entschieden, es nicht bei dieser einen Schnellabfrage zu belassen, sondern auch in den Folgejahren entsprechende Abfragen durchzuführen, um die Entwicklung der internationalen Studierendenzahlen so früh wie möglich abschätzen zu können. Denn diese Information ist nicht nur für uns als DAAD, sondern auch für die Hochschulen sehr hilfreich. Als einzelne Hochschule weiß man ja nie, ob die Entwicklung der Studierendenzahlen an der eigenen Hochschule weitgehend der Entwicklung bei anderen, vergleichbaren Hochschulen entspricht oder ob man vielleicht nach unten oder oben davon abweicht. Wir arbeiten in der Auswertung unserer Ergebnisse daher immer mit einer Aufteilung nach sogenannten Hochschul-Clustern, also einer Aufteilung in Gruppen von möglichst ähnlichen Hochschularten und -größen. Auf diese Weise können die Hochschulen dann die Entwicklung der eigenen Studierendenzahlen mit der Entwicklung in ihrem jeweiligen Hochschul-Cluster abgleichen.

Wie gehen Sie bei der Prognose der Studierendenzahlen genau vor?

Letztlich ist unsere Methodik ganz ähnlich wie bei Wahlprognosen. Auf der Basis einer Stichprobe von Hochschulen berechnen wir eine Prognose für die Gesamtheit der Hochschulen. Ein wichtiger Unterschied zu Wahlprognosen ist bei uns allerdings, dass es sich nicht um eine Zufallsstichprobe handelt. Gegenüber Wahlumfragen haben wir ja den Vorteil, dass wir sämtliche Hochschulen, die für unsere Prognose relevant sind, zur Abfrage einladen können. Allerdings haben wir natürlich keinen Einfluss darauf, welche Hochschulen dann letztlich an der Abfrage teilnehmen und ob sich dabei eine einigermaßen repräsentative Auswahl von Hochschulen ergibt. Wir können dies aber abschätzen, indem wir die Hochschulen in die bereits erwähnten Hochschul-Cluster einteilen, denn so lässt sich ja zumindest erkennen, ob in jedem dieser Hochschul-Cluster eine ausreichende Anzahl von Hochschulen vorhanden ist, um auf dieser Basis eine belastbare Prognose für den gesamten Cluster zu erstellen. Und das war bislang erfreulicherweise – dank der großen Teilnahmebereitschaft unter den Hochschulen – bei jeder unserer Schnellabfragen der Fall.

Die Prognosen für die einzelnen Cluster werden dann am Ende zu einer Gesamtprognose zusammengeführt. Dabei berücksichtigen wir natürlich auch die Erfahrungswerte aus den vorherigen Schnellabfragen. Wir wissen zum Beispiel mittlerweile, dass die Entwicklung der Studierendenzahlen an den Hochschulen, die sich an unserer Schnellabfrage beteiligen, insgesamt etwas dynamischer ausfällt als an den übrigen Hochschulen. Auch hier funktioniert unsere Prognose also wieder ganz ähnlich wie bei Wahlprognosen, bei denen ja auch immer Abweichungen zwischen den Befragten der Stichprobe und der Grundgesamtheit aller Wahlberechtigten berücksichtigt werden.

Was schließlich noch erwähnt werden sollte: Wir konzentrieren uns bei der Abfrage auf Universitäten, Hochschulen für Angewandte Wissenschaften sowie Kunst- und Musikhochschulen. Denn an diesen drei Hochschularten sind fast alle internationalen Studierenden in Deutschland eingeschrieben. Verwaltungshochschulen und Theologische Hochschulen sind also nicht Teil unserer Abfrage.

Nun aber zu den Ergebnissen der aktuellen Schnellabfrage: Wie hat sich die Zahl der internationalen Studierenden im Wintersemester 2023/24 laut DAAD-Prognose entwickelt?

Der wichtigste und sehr erfreuliche Befund ist sicherlich, dass die Zahl der internationalen Studierenden erneut deutlich gestiegen ist. Laut unserer Prognose sind im Wintersemester 2023/24 rund 380.000 bis 390.000 Studierende in Deutschland eingeschrieben, im Vergleich zu rund 368.000 im Wintersemester 2022/23. Das entspricht einer prozentualen Zunahme von vier bis sechs Prozent und einem erneuten Höchststand. Noch deutlicher zeigt sich die positive Entwicklung der Zahlen, wenn man nur die neu eingeschriebenen internationalen Studierenden betrachtet. Hier prognostizieren wir einen Anstieg auf rund 85.000 bis 92.000 Studierende im Wintersemester 2023/24, von rund 80.000 Studierenden im Wintersemester 2022/23. Die Steigerungsrate könnt also bei bis zu 15 Prozent liegen.

Auffällig ist, dass die positive Entwicklung der Studierendenzahlen nun in etwa gleichem Maß das Bachelor- und Masterstudium betrifft. Im Vorjahr betraf das Wachstum vor allem die Studierenden im Masterstudium, während im Bachelorstudium offensichtlich noch die pandemiebedingte Lücke bei der Studienvorbereitung bzw. den Studienkollegs nachwirkte. Diese Lücke scheint nun aber geschlossen zu sein, weshalb sich die Zahlen im Bachelorstudium jetzt ähnlich positiv entwickeln wie im Masterstudium.

Eine weitere Normalisierung der Entwicklung zeigt sich bei den internationalen Gast- und Austauschstudierenden, bei denen sich die prozentuale Zunahme im Vergleich zum Vorjahr offensichtlich deutlich abgeschwächt hat. Der starke Zuwachs im Vorjahr war mit hoher Wahrscheinlichkeit noch Teil eines pandemiebedingten Nachholeffekts: Ein großer Teil der im letzten Jahr begonnenen Gast- und Austauschaufenthalte waren also vermutlich Aufenthalte, die aufgrund der Pandemie erst später als ursprünglich geplant durchgeführt werden konnten. Diese nachholende Entwicklung scheint nun größtenteils abgeschlossen zu sein, weshalb es im Vergleich zu den stark überdurchschnittlichen Zuwächsen im Vorjahr jetzt an vielen Hochschulen zu einem Rückgang der Neueinschreibungen von internationalen Gast- und Austauschstudierenden kommt.

Die Schnellabfrage hat vor dem Hintergrund des neuen bayerischen Hochschulgesetztes dieses Mal auch nach den Plänen der bayerischen Hochschulen zur Einführung von Studiengebühren für Studierende aus Nicht-EU-Staaten gefragt. Wie sind die Rückmeldungen hier ausgefallen?

Von den 20 bayerischen Hochschulen, die an der Schnellabfrage teilgenommen haben, haben drei Hochschulen angegeben, die Einführung von Studiengebühren für internationale Studierende bereits beschlossen zu haben. Sechs weitere Hochschulen haben laut Abfrage diesbezüglich noch keine Entscheidung getroffen. Die übrigen elf Hochschulen werden vorerst keine Studiengebühren für Nicht-EU-Studierende einführen. Hierbei ist jedoch noch einmal anzumerken, dass es sich bei den Hochschulen, die sich an unserer Abfrage beteiligt haben, nicht um eine repräsentative Stichprobe der 56 staatlich anerkannte Hochschulen in Bayern handelt. Zum Beispiel hat sich im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern in Bayern keine Kunst- und Musikhochschule an der Abfrage beteiligt. Es handelt sich also nur um ein erstes Stimmungsbild in Bezug auf die Einführung solcher Studiengebühren.

Was sich dabei auch zeigt, ist, dass es bei den Studiengebühren für Nicht-EU-Studierende wohl eine große Spannbreite geben wird, was deren genaue Ausgestaltung angeht. Die TU München ist ja die bislang einzige Hochschule in Bayern, die ihr Gebührenkonzept bereits veröffentlicht hat. Hier liegt die Höhe der Gebühren bei 2.000 bis 3.000 Euro im Bachelorstudium und bei 4.000 bis 6.000 Euro im Masterstudium. An anderen Hochschulen werden die Gebühren hingegen wohl deutlich niedriger ausfallen, das zeigen die Rückmeldungen der Hochschulen im Rahmen unserer Abfrage.

Quelle: DZHW

Autor: Dr. Ulrich Heublein, DZHW

Ulrich Heublein ist seit 1991 am DZHW tätig und Projektleiter in der Abteilung "Bildungsverläufe und Beschäftigung". Seine Forschungsinteressen gelten den Bedingungen erfolgreichen Studierens, den Ursachen des Studienabbruchs sowie der Internationalisierung von Studium und Forschung. Er hat Germanistik und Publizistik an der Universität Leipzig studiert und 1986 in Germanistik promoviert.

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