17. April 2024

“Wir müssen uns weiter für internationale Talente öffnen”

Ende Februar wurde das jährliche “Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands” der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) – kurz: EFI-Gutachten – veröffentlicht. Unter den vier darin behandelten “Kernthemen” findet sich auch das Kapitel “Internationale Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem”, das von den Kommissionsmitgliedern Prof. Dr. Guido Bünstorf (Universität Kassel) und Prof. Dr. Carolin Häussler (Universität Passau) betreut wurde. Im Interview erläutern sie ihre methodische Vorgehensweise, zentrale Befunde der Analyse sowie die praktischen Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen, die sich aus ihrer Sicht hieraus ergeben.

Prof. Dr. Carolin Häussler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship der Universität Passau, Prof. Dr. Guido Bünstorf leitet das Fachgebiet Wirtschaftspolitik, Innovation und Entrepreneurship an der Universität Kassel. Beide sind Mitglieder der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung. (Bildquelle jeweils: David Ausserhofer)

Frau Prof. Häussler und Herr Prof. Bünstorf, Sie waren im Rahmen des aktuellen EFI-Gutachtens an den Analysen zur internationalen Mobilität im deutschen Wissenschafts- und Innovationssystem beteiligt. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern zunächst einmal kurz – und möglichst allgemeinverständlich – erläutern, wie Sie dabei methodisch vorgegangen sind?

Bünstorf: Über die Forscherinnen und Forscher, die nach Deutschland kommen oder uns in Richtung Ausland verlassen, wird keine Statistik geführt. Daher ist es üblich, internationale Mobilität im Wissenschafts- und Innovationsystem über Publikations- und Patentdaten zu erfassen. Man verfolgt einzelne Personen über die Zeit hinweg und schaut, ob sich ihre Adresse oder ihre Hochschulzugehörigkeit verändert. Auf diese Weise kann man auch erkennen, wenn sie das Land ihrer Tätigkeit wechseln. Für das aktuelle Gutachten hat die EFI zwei Studien in Auftrag gegeben, in denen dieses Verfahren angewendet wurde – einmal auf publizierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und einmal auf patentierende Erfinderinnen und Erfinder. Insgesamt wurden dabei Daten von rund 1,2 Millionen Personen ausgewertet.

Häussler: Ergänzend haben wir eine Reihe von Gesprächen mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Industrie geführt. Diese Gespräche helfen uns, die aufgetretenen Muster in den Daten besser zu verstehen. Sie sind auch wichtig, um bestehende Mobilitätshemmnisse zu identifizieren und dort, wo der Schuh drückt, Verbesserungen vorzuschlagen.

Was waren aus Ihrer Sicht die zentralen Befunde Ihrer Analysen zur internationalen Mobilität im deutschen Wissenschafts- und Innovationssystem?

Häussler: Deutschland befindet sich auf einem positiven Weg: Heute kommen mehr publizierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Land als abwandern. In der Vergangenheit war es umgekehrt. Und obwohl bei patentaktiven Erfinderinnen und Erfindern über die letzten 20 Jahre hinweg im Schnitt ein Nettowegzug zu verzeichnen ist, fällt dieser in den letzten Jahren deutlich geringer aus als zuvor. Besonders positiv ist, dass bei der Besetzung herausgehobener Positionen im Wissenschaftssystem der Anteil international mobiler Personen überdurchschnittlich hoch ist. Unter ihnen sind viele, die bereits früher einmal in Deutschland gearbeitet haben und mit neuem Wissen und erweiterten Netzwerken im Gepäck zurückkommen. Verbesserungsbedarf besteht aus unserer Sicht dennoch. Denn im Schnitt sind diejenigen, die aus Deutschland wegziehen, publikationsstärker als diejenigen, die zuziehen. Am wenigsten produktiv sind allerdings die Immobilen.

Bünstorf: Da der Fachkräftemangel weiter zunehmen wird, benötigen wir in Zukunft noch mehr Zuzug nach Deutschland, als wir aktuell beobachten. Internationale Mobilität wird immer wichtiger – und zwar in der ganzen Breite des Wissenschafts- und Innovationssystems. Wir müssen uns weiter für internationale Talente öffnen und auch diejenigen ansprechen, die Deutschland früher einmal verlassen haben und die man zu einer Rückkehr bewegen kann. Wichtig ist auch die Förderung des internationalen Austauschs, etwa durch den DAAD. Denn durch Austausch entstehen internationale Kooperationen, und wir sehen in den Daten, dass Publikationen von internationalen Teams qualitativ höherwertig als sind als die von rein nationalen Teams oder von Einzelautoren.

Und welche Schlussfolgerungen oder Handlungsempfehlungen ergeben sich aus diesen Befunden für die deutsche Wissenschafts- und Forschungspolitik? Haben die Befunde aus Ihrer Sicht auch praktische Relevanz für einzelne Forschungseinrichtungen oder sogar einzelne Forschende?

Häussler: Ein allgemeines Problem, egal ob jemand an einer Hochschule in Deutschland arbeiten möchte oder in der Forschungsabteilung eines Unternehmens, sind die langwierigen Verwaltungsprozesse, sowohl bei der Visavergabe in den deutschen Auslandvertretungen als auch vor Ort in den Ausländerbehörden. Hier haben wir eine Digitalisierung aus einem Guss vorgeschlagen – eine digitale Plattform, die alle Teilprozesse der Zuwanderung in einen Gesamtprozess integriert und dabei alle Beteiligten miteinander verknüpft. Auch die Anerkennung von Bildungsabschlüssen soll hier integriert werden. Der Vorteil ist, dass dadurch der Verwaltungsaufwand verringert wird und alle Beteiligten jederzeit wissen, wo im Prozess ihr Vorgang steckt. Dadurch können dann auch Nadelöhre schnell identifiziert und hoffentlich auch beseitigt werden.  

Bünstorf: Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssen sich noch stärker für internationale Karrieren öffnen. Einen guten Ansatzpunkt für die Politik, diese Öffnung voranzutreiben, bietet das Bund-Länder-Programm für Tenure-Track-Professuren, das zukünftig konsequent auf eine international wettbewerbsfähige Ausstattung und Entlohnung ausgerichtet und auch voll anschlussfähig an den internationalen Arbeitsmarkt gestaltet werden sollte. Dazu gehört, dass Bewerberinnen und Bewerber aus dem Ausland frühzeitig und verlässlich Klarheit darüber bekommen, welche Einkommens- und Versorgungsansprüche sie haben. Und auch unterhalb der Professur muss der Wissenschaftsstandort Deutschland für internationale Talente attraktiver werden. Am besten mit forschungsorientierten Tenure-Track-Stellen, die eine eigenständige Tätigkeit ermöglichen.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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