„Auslandszweigstellen helfen Hochschulen, die internationale Vernetzung auszubauen“
Dr. Tim Rottleb und Dr. Marc Schulze waren kürzlich in der DAAD-Wissenschaftswerkstatt zu Gast und präsentierten Forschungsergebnisse aus ihrer Studie „Germany’s international branch campuses: neoliberalising the Humboldtian university through the backdoor?“, die sie gemeinsam mit Prof. Dr. Jana M. Kleibert durchgeführt haben. In diesem Interview erläutern sie die Unterschiede der Ansätze deutscher Universitäten zur transnationalen Bildung im Vergleich zu angloamerikanischen Institutionen, die Gründe und Ziele öffentlicher deutscher Universitäten bei der Gründung internationaler Zweigstellen sowie die Herausforderungen und Chancen, die sich dabei ergeben.
(V.l.n.r.): Dr. Marc Philipp Schulze ist Wissenschaftsmanager, Berater und Forscher. Dr. Tim Rottleb ist Wirtschaftsgeograph an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. (Bildquellen: Felix Müller / Mitwalli)
Inwiefern unterscheiden sich die Ansätze deutscher Universitäten zur transnationalen Bildung von denen angloamerikanischer Institutionen?
Auf den ersten Blick unterscheidet sich die deutsche transnationale Bildung (TNB) deutlich von der angloamerikanischen. Wenn britische, australische oder US-amerikanische Institutionen TNB-Programme anbieten, steht oft ein klares Profitinteresse im Vordergrund. Dies kann man für deutsche TNB-Strategien nicht ohne weiteres sagen. Hier drehen sich die Überlegungen meist um akademische Partnerschaften und internationale Kooperation. Deutsche Hochschulen verfolgen ihre TNB-Programme selten als profitorientierte Geschäftsmodelle, sondern arbeiten eher mit Partnerhochschulen sowie mit Ministerien oder Förderorganisationen zusammen. Dabei unterliegen sie als hauptsächlich durch Steuern finanzierte Einrichtungen einer stärkeren politischen Steuerung, was ihre unternehmerische Flexibilität einschränkt.
Gleichzeitig erleben wir auch in Deutschland eine schrittweise stattfindende Neoliberalisierung des Hochschulsystems und das schlägt sich auch in TNB-Strategien nieder. Knapper werdende staatliche Grundfinanzierung und steigender Wettbewerb bringt Hochschulen dazu, sich stärker unternehmerisch zu positionieren – sowohl im deutschen als auch globalen Kontext. Durch TNB-Projekte versuchen sie z.B., den internationalen Aspekt ihrer „Marke“ zu stärken, neue Zielgruppen zu erreichen und sinkende Studierendenzahlen durch die Anwerbung internationaler Studierender zu stabilisieren.
Warum entscheiden sich öffentliche deutsche Universitäten dafür, internationale Zweigstellen zu gründen, und welche Ziele verfolgen sie dabei?
Zunächst muss man feststellen, dass im Vergleich zu Bildungseinrichtungen aus anderen Ländern deutsche Universitäten eher selten Zweigstellen im Ausland eröffnen. Während es weltweit knapp 500 davon gibt, haben wir zuletzt vier solcher deutschen Hochschulstandorte im Ausland gezählt. Wenn deutsche Universitäten Zweigstellen eröffnen, geschieht das oft aus einer ganzen Reihe von Gründen.
Einer der zentralen Beweggründe ist die Erhöhung der internationalen Sichtbarkeit, die durch eine eigene physische Präsenz im Ausland besonderes gestärkt werden soll. Auch beobachten wir, dass durch Hochschulstandorte im Ausland neue Finanzierungsquellen erschlossen werden sollen, etwa durch Drittmittel oder Industriepartnerschaften. Übergeordnet sind deutsche Auslandszweigstellen auch in wissenschaftsdiplomatische Überlegungen eingebettet. Sie sollen als Instrumente der internationalen Zusammenarbeit dienen und dazu beitragen, Deutschland als globalen Wissenschaftsstandort zu positionieren. In vielen Gastländern werden solche Zweigstellen als Zeichen einer engen bilateralen Kooperation wahrgenommen, wodurch sie auch eine außenpolitische Bedeutung erhalten. In der Praxis spielten bei den meisten Gründungen deutscher Zweigstellen zudem persönliche Netzwerke oder einflussreiche Alumni aus dem jeweiligen Gastland zentrale Rollen.
Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich für deutsche Universitäten, wenn sie internationale Zweigstellen eröffnen?
Eine der größten Herausforderungen ist die institutionelle und rechtliche Komplexität, die mit dem Betrieb eines Auslandscampus einhergeht. Deutsche Hochschulen müssen sich in gänzlich unterschiedliche Hochschulsysteme einfügen, regulatorische Hürden bewältigen und zugleich ihre akademischen Standards erhalten. Besonders heikel ist die Frage der Anerkennung von Abschlüssen. Als öffentliche Einrichtungen müssen deutsche Hochschulen strenge Qualitätsanforderungen erfüllen, die sich nicht immer problemlos auf andere Hochschulsysteme übertragen lassen.
Darüber hinaus erfordern Zweigstellen hohe Investitionen und nicht jedes Projekt ist langfristig finanziell tragfähig. Anders als private Hochschulen können öffentliche Universitäten mit staatlichen Kooperationspartnern nicht ohne weiteres aus einem Standort aussteigen, wenn sich dieser wirtschaftlich als unprofitabel erweist. Gleichzeitig ist es oft schwierig, ohne langfristige staatliche Finanzierung ein stabiles Geschäftsmodell zu etablieren.
Auch restriktive Rahmenbedingungen an den Standorten können zum Problem werden. Dazu zählen z.B. mögliche Einschränkungen von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, Einflussnahme durch staatliche Stellen oder Herausforderungen im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit. Gleichzeitig müssen die Hochschulen sicherstellen, dass die Curricula an ihren Zweigstellen mit deutschen Standards kompatibel bleiben, ohne in Konflikt mit lokalen Vorschriften zu geraten.
Trotz der Herausforderungen sehen wir auch bedeutende Chancen für deutsche Hochschulen. Auslandszweigstellen helfen Hochschulen, die internationale Vernetzung auszubauen, neue Forschungspartnerschaften zu initiieren und sich als Akteure in globalen Wissensnetzwerken zu positionieren. Das erhöht die Attraktivität für internationale Studierende und Forschende. Studierende profitieren von internationalen Bildungsangeboten, Forschende erhalten Zugang zu neuen oder standortspezifischen Forschungsressourcen und Kooperationen. Auslandszweigstellen können also dazu beitragen, langfristige Beziehungen mit Partnerinstitutionen, Unternehmen und politischen Akteuren zu etablieren.
Insgesamt zeigt unsere Forschung, dass Auslandszweigstellen für deutsche Hochschulen einerseits große strategische Möglichkeiten bereitstellen. Andererseits erfordern sie auch sorgfältige Planung, eine realistische Einschätzung der finanziellen und politischen Risiken sowie eine klare Ausrichtung, die akademische Werte und Qualitätssicherung in den Mittelpunkt stellt. Nur so können sie langfristig einen echten Mehrwert für die deutsche Hochschullandschaft und die internationalen Partnerländer bieten.
Zu den Personen
Dr. Tim Rottleb
Dr. Tim Rottleb ist Wirtschaftsgeograph an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Seine Arbeit beschäftigt sich mit regionaler Transformation, Strukturwandel und Globalisierungsprozessen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Rolle von Universitäten in diesen Entwicklungen, sowohl in Deutschland als auch international. In seiner Forschung zu transnationaler Bildung untersuchte er, wie Auslandszweigstellen in wirtschaftliche Entwicklungsstrategien und Geopolitik eingebunden werden. Geographisch reicht sein Interesse von den Braunkohleregionen Ostdeutschlands bis zur Arabischen Golfregion. Frühere berufliche Stationen beinhalten das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, die Vrije Universiteit Brussel, sowie verschiedene UN-Organisationen.
Dr. Marc Schulze
Dr. Marc Philipp Schulze ist Wissenschaftsmanager, Berater und Forscher. Als Bildungs- und Wirtschaftsgeograph ist für ihn besonders interessant, wie sich Bildungs- und Wissenschaftsstandorte angesichts von globalen Herausforderungen verändern. Seine inhaltliche Expertise liegt in den Bereichen Internationale/ Transnationale Bildung und Qualifizierung sowie Forschung und Innovation. Südostasien und Westeuropa sind seine regionalen Schwerpunkte. Unter anderem war er als Persönlicher Referent des Präsidenten der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, in einem internationalen Beratungsunternehmen für Ministerien und Stiftungen, in der Arbeitsgruppe „Globalisierung und Wissensökonomie“ des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung und am Institut für Geographie der Universität Hamburg tätig.
Weiterführende Informationen
Kleibert, J. M., Bobée, A., Rottleb, T., & Schulze, M. P. (2020). Global Geographies of Offshore Campuses. Leibniz-Institut für raumbezogene Sozialforschung. http://hdl.handle.net/10419/223315
Kleibert, J. M., Rottleb, T., Schulze, M. P., & Bobée, A. (2021). Strategy first: Ten questions to answer before starting an international campus (No. 2/2021; IRS Dialog, Nummer 2). Leibniz-Institut für raumbezogene Sozialforschung. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/235471/1/1761083112.pdf
Rottleb, T., Schulze, M. P., & Kleibert, J. M. (2024). Germany’s international branch campuses: Neoliberalising the Humboldtian university through the backdoor? Compare: A Journal of Comparative and International Education, 0(0), 1–20. https://doi.org/10.1080/03057925.2024.2333517
Jessica Schüller ist beim DAAD als Referentin in der Campus-Initiative für internationale Fachkräfte tätig. Sie ist für das Forschungs- und Studienportfolio zuständig.