„Wir betrachten, wie die internationalen Studierenden vor allem nach Abschluss ihres Studiums die Fachkräftebasis im Land stärken“
Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Auftrag gegeben wurde, untersucht erstmalig umfassend den wirtschaftlichen Einfluss internationaler Studierender von Studienbeginn bis zur Rente. Es zeigt sich, dass die rund 80.000 internationalen Studierenden, die ihr Studium mit Abschlussabsicht 2022 begonnen haben, im Laufe ihres Lebens knapp 15,5 Milliarden Euro mehr an Steuern und Abgaben zahlen, als sie Leistungen vom deutschen Staat erhalten. Laut der IW-Studie rentieren sich Investitionen in internationale Studierende für Deutschland schon nach wenigen Jahren: Bleiben 40 Prozent eines Jahrgangs nach dem Studium im Land, decken ihre Steuern und Abgaben bereits drei Jahre nach Studienende die hochschulischen Ausbildungskosten. Im Interview erläutert Studienautor Herr Dr. Wido Geis-Thönewie die Befunde in die bisherige nationale und internationale Forschung zu diesem Thema einzuordnen sind, sowie welchen Beitrag Politik, Hochschulen und Unternehmen leisten können, um internationale Studierende besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren und als Fachkräfte in Deutschland zu halten.
Dr. Wido Geis-Thöne ist Senior Economist im Themencluster Bildung, Innovation, Migration am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. (Bildquelle: Uta Wagner/IW)
Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, die volkswirtschaftliche Bedeutung von internationalen Studierenden stärker in den Blick zu nehmen?
Der deutsche Arbeitsmarkt erlebt derzeit eine Zeitenwende. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik werden über einen längeren Zeitraum hinweg wesentlich mehr Personen altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als junge Menschen nachrücken. Damit drohen Fachkräfteengpässe, die die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beeinträchtigen und so auch den Wohlstand der Bevölkerung gefährden können. Diese Gefahr lässt sich nur entschärfen, indem zusätzliche qualifizierte Personen für den deutschen Arbeitsmarkt gewonnen werden. Am effektivsten ist dabei Zuwanderung. Allerdings ist der Kreis der Personen, die mit ihren Qualifikationen in Deutschland eine Stelle als Fachkraft besetzen können und hierher zuwandern, weltweit begrenzt. So kommt im Hinblick auf die Fachkräftesicherung auch der Ausbildung junger Menschen aus dem Ausland an den Hochschulen, wie auch in anderen Zweigen des Bildungssystems, zunehmende Bedeutung zu. Dazu sind die langfristigen Beschäftigungsperspektiven schon aufgrund des demografischen Wandels sehr gut.
Der demografische Wandel führt auch dazu, dass sich die Wachstumsdynamik in Deutschland abschwächen dürfte und der Staat mit weniger Steuern und Sozialabgaben von Erwerbstätigen für zunehmend mehr ältere Menschen Leistungen in den Bereichen Rente und Pflege zur Verfügung stellen muss. Zusätzlich ist es für die langfristige Finanzierung wichtiger Investitionen in die Infrastruktur notwendig, die Wachstumsdynamik und die öffentlichen Haushalte zu stärken. Für die politische Entscheidungsfindung wird es vor diesem Hintergrund immer relevanter, auch den Investitionscharakter und die langfristig positiven wirtschaftlichen Effekte von Bildungsausgaben zu belegen. Insbesondere gilt das bei den internationalen Studierenden, da der deutsche Staat an sich nicht die Verantwortung für ihre Ausbildung trägt.
Wie ordnen Sie Ihre Befunde in die bisherige nationale und internationale Forschung zu diesem Thema ein?
Ein großer Teil der bestehenden Forschung zu den wirtschaftlichen Effekten internationaler Studierender stammt aus dem angelsächsischen Raum. Dort liegt das Hauptaugenmerk vor allem darauf, wie die internationalen Studierenden mit ihren Studiengebühren und Ausgaben für den privaten Konsum die Wirtschaftsleistung der Länder auf der Nachfrageseite stärken. Ihre Potenziale für die Arbeitsmärkte werden, wenn überhaupt, nur am Rande angesprochen. Hingegen betrachten wir, wie die internationalen Studierenden vor allem nach Abschluss ihres Studiums die Fachkräftebasis im Land stärken und so zu einer positiveren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und höheren Einnahmen für den Staat führen.
Auf nationaler Ebene existiert unseres Wissens bislang nur eine größere Untersuchung der Prognos AG aus dem Jahr 2013 zu diesem Thema, in der sie die wirtschaftlichen Effekte der internationalen Studierenden in Deutschland und verschiedenen anderen Ländern vergleicht. Diese und weitere Studien aus anderen europäischen Ländern greifen auch bereits ihre Bedeutung für den Arbeitsmarkt auf. In unserer Studie gehen wir detailliert auf die fiskalischen Effekte ein, da sich beispielsweise durch die Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung später ein Anspruch auf eine Rentenzahlung oder eine Rückerstattung der Arbeitnehmerbeiträge im Fall einer früheren Wiederausreise ergibt.
Welchen Beitrag können Politik, Hochschulen und Unternehmen leisten, um internationale Studierende besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren und als Fachkräfte in Deutschland zu halten?
Zunächst ist es wichtig, dass sich alle beteiligten Akteure bewusst machen, dass die Ausbildung der internationalen Studierenden nicht nur, aber in besonderem Maße auch der Fachkräftesicherung dient, und dies bei allen Aktivitäten im einschlägigen Bereich mitdenken. Dies betrifft bereits die Ansprache von Personen im Ausland, die (potenziell) an einem Studium in Deutschland interessiert sind. Hier sollten sich möglichst auch die Unternehmen beteiligen und gezielt für die Möglichkeit eines langfristigen Verbleibs in Deutschland werben. Im zweiten Schritt sollte sowohl von den Hochschulen als auch von den Unternehmen die Integration der internationalen Studierenden in die qualifizierte Beschäftigung insbesondere durch Praktika, Werkstudententätigkeiten und Ähnliches gefördert werden. Auch eine begleitende Sprachförderung und Vernetzung mit anderen Studierenden vor Ort ist wichtig. Und drittens ist es förderlich, an den Hochschulen nachhaltig unterstützende Strukturen aufzubauen und zu sichern, da gerade die Vernetzung aller relevanter Akteure umso besser gelingt, je mehr Vertrauen und Sozialkapital vor Ort bestehen.
Zur Person
Dr. Wido Geis-Thöne ist Senior Economist im Themencluster Bildung, Innovation, Migration am Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen demografische Entwicklung, Zuwanderung, Integration, Familienpolitik und Bildung. Mit der potenziellen Bedeutung internationaler Studierender für die Fachkräfte hat er sich in der Vergangenheit bereits in mehreren Studien befasst.
Jessica Schüller ist beim DAAD als Referentin in der Campus-Initiative für internationale Fachkräfte tätig. Sie ist für das Forschungs- und Studienportfolio zuständig.