„Zusammenhang zwischen der Rolle von anti-pluralistischen Parteien und dem Rückgang der Wissenschaftsfreiheit“
Dr. Angelo Vito Panaro ist Postdoktorand am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Er ist am Forschungsprojekt zum „Academic Freedom Index“ (AFI) beteiligt, in dessen Rahmen fortlaufend der aktuelle Stand der Wissenschaftsfreiheit weltweit ermittelt wird. Im Interview erklärt er, wie die Abnahme der AFI-Werte für Deutschland zu verstehen ist, warum es deutlich mehr Länder mit sinkenden als mit steigenden AFI-Werten gibt und was man aus den Entwicklungen in Argentinien, Polen und den USA lernen kann.
Dr. Angelo Vito Panaro ist Postdoktorand am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. (Bildquelle: privat)
Laut Ihrer Analyse ist die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland zwischen 2014 und 2024 zurückgegangen. Können Sie diese Entwicklung für unsere Leser ein wenig einordnen?
Im Daten-Update des Academic Freedom Index für das Jahr 2025 haben wir 34 Länder und Territorien identifiziert, in denen es einen signifikanten und substanziellen Rückgang der akademischen Freiheit gab – sowie Deutschland und Österreich, die statistisch signifikante, aber nicht substanzielle Rückgänge der akademischen Freiheit aufweisen. Das Ergebnis für Deutschland ist nicht überraschend. Das deutsche Grundgesetz schützt die akademische Freiheit, und auch der Teilwert des Academic Freedom Index, der die faktische Situation des Landes erfasst, bleibt hoch. Gleichzeitig gab es im vergangenen Jahr einen öffentlichen Aufschrei über angebliche Pläne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die Mittel für Wissenschaftler zu kürzen, die sich öffentlich zum Gaza-Konflikt geäußert oder den Umgang von Universitätsleitung und Polizei mit pro-palästinensischen Demonstrationen auf dem Universitätsgelände kritisiert hatten. Diese Ereignisse haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass Deutschland im Academic Freedom Index nun schlechter abschneidet, da die Indexwerte auf Experteneinschätzungen beruhen.
Um diesen Trend wieder umzukehren, ist es unerlässlich, die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland zu schützen, indem die institutionelle Autonomie der Hochschulen gewährleistet und die Forschenden und Lehrenden vor politischem Druck geschützt werden.
Nicht nur in Deutschland hat die Wissenschaftsfreiheit in den letzten zehn Jahren laut AFI abgenommen. Wie Sie bereits erwähnt haben, zeigen die Daten aus 34 Ländern und Territorien statistisch signifikante Rückgänge. Umgekehrt gibt es nur acht Länder, in denen die akademische Freiheit im gleichen Zeitraum signifikant zugenommen hat. Gibt es länderübergreifende Entwicklungen, die diesen globalen Trend des Rückgangs der Wissenschaftsfreiheit erklären können?
Unsere Untersuchung zeigt, dass die Phasen des Rückgangs und der Zunahme der Wissenschaftsfreiheit nicht auf bestimmte Regionen oder Regime beschränkt sind. Interessant ist, dass wir einen Zusammenhang zwischen der Rolle von anti-pluralistischen Parteien und dem Rückgang der Wissenschaftsfreiheit feststellen. In Ländern, in denen anti-pluralistische Parteien einen großen Anteil der Sitze in der Legislative innehaben, ist das Niveau der Wissenschaftsfreiheit tendenziell niedriger. Dieser Trend zeigt sich jedoch nur, wenn anti-pluralistische Parteien an der Regierung und nicht nur in der Opposition sind.
Kurz gesagt: Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass anti-pluralistische Parteien an der Macht eine wichtige Triebkraft für den Rückgang der Wissenschaftsfreiheit sind. Wichtig ist dabei, dass anti-pluralistische Parteien in der Opposition zwar keine direkten Auswirkungen auf die Wissenschaftsfreiheit haben, ihr Wahlerfolg aber dennoch eine Bedrohung für die freie Wissenschaft darstellen kann. Denn mit zunehmendem Wahlerfolg steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Zukunft an der Regierung beteiligt werden, was sich nachteilig auf die Wissenschaftsfreiheit auswirken kann.
In Ihrer aktuellen Analyse haben Sie auch drei Länder im Rahmen von Fallstudien genauer unter die Lupe genommen: Argentinien, Polen und die Vereinigten Staaten. Was war der Grund für diese Auswahl und was kann man aus diesen drei Fallstudien lernen?
Das AFI-Update 2025 unterstreicht den Zusammenhang zwischen anti-pluralistischen Parteien und dem Rückgang der Wissenschaftsfreiheit. Wir haben uns für diese drei Länder entschieden – Argentinien, Polen und die Vereinigten Staaten – um zu veranschaulichen, wie solche Parteien, sobald sie an der Macht sind, die Wissenschaftsfreiheit untergraben. Anhand dieser Beispiele zeigen wir, dass anti-pluralistische Politikerinnen und Politiker in verschiedenen Ländern ähnliche Taktiken anwenden, nämlich restriktive Gesetzgebung, aggressive Rhetorik und politisch motivierter Entzug von Finanzmitteln.
Argentinien ist erst seit Kurzem Teil der Liste der Länder mit einem signifikanten Rückgang der Wissenschaftsfreiheit, hier wurde die Wissenschaftsfreiheit seit dem Sieg von Präsident Milei bei den Wahlen 2024 stark eingeschränkt. Aufgrund dieser sehr aktuellen Entwicklung ist eine genauere Untersuchung der weiteren Entwicklung der Wissenschaftsfreiheit in Argentinien aus unserer Sicht angemessen.
In den USA hat die Wissenschaftsfreiheit schrittweise abgenommen, aber die jüngsten Regierungsmaßnahmen haben diesbezüglich zu einer starken Eskalation beigetragen. Diese Maßnahmen bedrohen die institutionelle Autonomie, den akademischen Austausch und die Freiheit der Forschung. Angesichts des weltweiten Einflusses der US-Universitäten wird jede Aushöhlung der Wissenschaftsfreiheit dort weitreichende Folgen haben, auch hier in Europa. Aus diesem Grund muss der Fall USA genau beobachtet werden.
Polen bietet ein weiteres klares, aber auch hoffnungsvolles Beispiel. Nach der Machtübernahme durch die PiS-Regierung im Jahr 2015 ging die Wissenschaftsfreiheit dort erheblich zurück. Die Regierung führte Kontrollen der akademischen Forschung und Lehre ein und förderte konservative Werte gegenüber kulturellem Pluralismus. In jüngerer Zeit hat die neue polnische Regierung unter Donald Tusk jedoch Maßnahmen zur Verbesserung der Wissenschaftsfreiheit ergriffen. Dieses Beispiel zeigt, dass ein Rückgang der Wissenschaftsfreiheit reversibel ist.
Zur Person
Dr. Angelo Vito Panaro ist Postdoktorand am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist am Forschungsprojekt zum „Academic Freedom Index“ (AFI) beteiligt, in dessen Rahmen fortlaufend der aktuelle Stand der Wissenschaftsfreiheit weltweit ermittelt wird. Bevor er an die FAU kam, war er Postdoktorand an der Universität Bielefeld (2023-2024) und der Universität Mailand (2021-2023). Von 2019 bis 2024 war er außerdem als Adjunct Professor an der Fakultät für Politik- und Sozialwissenschaften der Universität Bologna tätig. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Autoritarismus, demokratische Rückschritte, vergleichende Wohlfahrtsstaaten, Sozialpolitik, globale Umverteilung und sozioökonomische Ungleichheit.
Über das Projekt
Der Academic Freedom Index (AFI) erfasst 179 Länder und Territorien und stellt den bisher umfassendsten Datensatz zum Thema Wissenschaftsfreiheit dar. Er basiert auf den Einschätzungen von 2.363 Länderexpertinnen und -experten weltweit und arbeitet mit standardisierten Fragebögen sowie einem bewährten statistischen Modell, das vom V-Dem-Projekt umgesetzt und angepasst wurde. Ziel des V-Dem-Projekts ist es, fundierte Daten zu verschiedenen Dimensionen der Demokratie zu erstellen. Der Academic Freedom Index nutzt diese Methode zur Datenaggregation: Er liefert nicht nur sogenannte Punktschätzungen, sondern weist auch die Messunsicherheit bei der globalen Bewertung der Wissenschaftsfreiheit transparent aus. Weitere Informationen zur AFI-Methodik finden Sie auf der AFI-Website.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.